Was nützt ein Gott, den man nicht fühlt? Sicher erleben Suizidanten diese schwarze, gottverlassene Nacht der Seele. Ich gebe zu, dass der real existierende Suizid meinen Glauben ins Wanken bringt. Wie konnte ein guter Gott zulassen, dass ein Mensch so sehr leidet, dass er das Leben nicht mehr will? Wieso entzündet Gott nicht zumindest ein Fünkchen Hoffnung in diesem Menschen?
Ich weiß es nicht und dann hadere ich mit Gott. Aber dass manche Menschen so hoffnungslos sind, darf mich nicht daran hindern, weiterhin Ausschau zu halten, d.h. weiter den Sinn zu suchen.
.„[Leiden] hat auch metaphysische Relevanz. Das Leiden macht den Menschen hellsichtig und die Welt durchsichtig. Das Sein wird transparent hinein in eine metaphysische Dimensionalität.“ so Viktor Frankl (1). Nur am Punkt äußtersten Leidens erkennt man einen Sinn, der hält, was sein Name verspricht. Denn er ist so stark, dass er einen trotz allem weiterleben lässt. Es ist die Aufgabe im Leben, die man so sehr liebt, dass man dafür sterben – oder, was manchmal noch schwieriger ist – leben würde.
Der Sinn hat also etwas mit Liebe zu tun.
Sinnvoll verwobene Sinnzusammenhänge erkennbar.
_____________________________
(1) Frankl, Viktor E.: Logotherapie und Existenzanalyse, Texte aus fünf Jahrzehnten, München 1987, S. 136.
Ich war mal so ein richtiger Streber. Also eine ziemlich unnütze Existenzform. Wer braucht schon gute Noten?
Naja der halt, der mal einen akademischen Beruf ergreifen will. Jemand, der einen großen Beitrag zur Gesellschaft leisten will – als Arzt oder Jurist!
Ich denke, dass akademische Berufe in ihrer Wichtigkeit stark überschätzt werden. Denn was sind sie denn schon: Akademikerköpfe laufen mit einer höheren Wissenslast umher und haben zu jedem Thema ein höheres Informationenvolumen parat als Nicht-Akademiker. (Angeblich können sie gar besser denken.)
Der Horizont vieler Studierenden und Dozierenden der evangelischen Theologie endet an ihrer Schreibtischgrenze und auf diesem liegen immer drei Bücher: ein Latein-, ein Althebräisch- und ein Altgriechischlexikon. Diese drei Bücher versperren zusammen mit weiteren die Sicht auf das Leben, das am Schreibtisch vorbeizieht. Von ihnen unberührt.
Allein das Wissen um eine Lösung ist noch keine Lösung. Deshalb haben wir noch so viele soziale und ökologische Probleme, die in der Theorie schon längst gelöst sind.
An der Uni wird gern die Theorie der Theorie (der Theorie der Theorie^99) gelehrt. Mit dem Paraphrasieren der Professorenmeinung hat man in der Regel bessere Karten als beim eigenständigen Denken. Meine Erfahrung.
Ja, man braucht Ärzte und Juristen mit fundierten Sachkenntnissen. Aber man sollte als Student nicht so bluten müssen, wenn die Klausuren gar nichts mehr mit der Praxis zu tun haben. Und die latent mitschwingende Beleidung beim Wort „Hauptschüler“ sollte es nicht mehr geben.
Vielleicht ist ein Schreiner sogar mega gut für’s Klima und eben nicht der Wissenschaftler, der denkt und denkt und denkt. Lieber mal ein recyceltes Bett selbst bauen als im luftleeren Raum zu schwadronieren.
Jesus starb allein. Von Freunden und Familie verlassen. (Mk 15) In den besten Jahre steckte er stets inmitten einer wuselnden Menschentraube, die Schar hing ihm an den Lippen, von denen göttliche Worte gleich süßem Honig tropften. Man suchte seine liebevolle Präsenz, deren geheimnisvolle Kraft jede Wunde schloss.
Nun hing er da. Das Blut tropfte von seinen Schläfen herab. Weit und breit niemand. Kein Petrus (Mk 14,66-72). Dieser hatte sich von ihm abgewandt, als sein Ruhm vergangen war. Keine Eltern. Diese hatten ihn eh schon für völlig verrückt erklärt. (Mk 3,21) Kein Gott: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? (Mk 15,34)
Wo ist Gott, wenn ich nicht mehr an ihn glauben kann? Ist er dann in mir, außen herum oder was?
Heutzutage darf man als evangelischer Theologe alles sein – lesbisch, polyamor, trans– o.k.. Nur eine Sünde gibt es noch: ein Esoteriker sein.
Esoterik und Uni – das geht gar nicht. Esoteriker_innen sind Seelenfänger, deren klebriges Netz aus falschen Heilsversprächen ihre Opfer festhält und sie zappeln lässt bis sie sich finanziell völlig ausgeblutet haben. Kleine, borstiges Monster, die die aufgeklärten Wissenschaft zersetzen- oder es zumindest versuchen.
Mein Großvater Ernst Habermann war ein renommierter Toxikologe der Justus-Liebig Universität in Gießen und saß im Wissenschaftlichen Beirat der „Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchen von Parawissenschaften e.V.“ (GWUP). Homöopathie und co. mangelt es immer noch an laborgeprüften Belegen. Meinem Großvater zufolge „schärfen [alternative Therapieformen] den Blick für Placebo-Phänomene“. Interessant aus ethnologischen Gründen – nicht aus pharmazeutischen. (1)
Nun, ich denke anders als ich und würde er noch leben, würde es am Esstisch bisweilen ordentlich krachen. Kein Heilprozess muss objektiv bewiesen werden, wenn ihn das dazugehörige Subjekt als solchen wahrnimmt. Dass es den Placebo-Effekt gibt, ist auch ein Glaube. Jedenfalls konnte man bisher kein Placebo-Molekül extrahieren und beweisen.
Und vielleicht findet die evangelische Theologie in den Untiefen der Esoterik ihre verloren geglaubte Mystik wieder.
Der Pfad der Wahrheit ist schmal.
__________________________
(1) Hier habe ich die Streitschrift „Besondere Therapieformen“ meines Großvaters gefunden: https://www.ariplex.com/ama/ama_eh06.htm.
Ich verrat‘ sogleich meinen Trick: Die Kunst ist, herauszufinden, was man wirklich braucht – und den Rest wegzugeben. Sonst hat man das Luxusproblem des Zuviel-Habens. Es ist ein Luxusproblem, aber es ist ein ernsthaftes Problem.
Jeder braucht was anderes. Ich brauche z.B. Baumrinde in der Schreibtischschublade. So kann meine kreative Ader frei fließen und manchmal kommt gar was Schönes bei raus.
Manchmal gebe ich sogar Sachen weg, weil sie jemand anderes besser gefallen könnten. Auch zu viel Geld sollte man spenden. Deshalb, weil sonst die vermeindlichen Bedürfnisse steigen (teures Auto, teures Haus …) und ehe man sich versieht, muss man arbeiten, denn man ist ein Sklave des Geldes geworden.
Tiere lassen sich in Gefangenschaft halten – aber nicht ihre Krankheitserreger: Schweine (2009) – und Vogelgrippe (2013), diverse Coronaviren; SARS (2002), MERS (2012) und der aktuelle Corona-Virus. Alles Zoonosen, d.h. vom tierischen Wirt auf uns übertragen.
Einen neuen Erreger züchten wir uns bereits: In den Factory Farms stehen Tiere dicht an dicht. Viren und Bakterien flunktuieren munter – das durch Stress geschwächte Immunsystem der armen Tiere vermag nichts gegen die Krankheitsherde ausrichten. Die ständige Antibiotikavergabe gibt der Gefahr den letzten Schliff: Multiresistente Keime.
Wir brauchen weniger Globalisierung – dann würden Krankheiten regional bleiben. Wir brauchen wieder kleinere Bauernhöfe mit gesunden Tieren.
Masken und Desinfektionsmittel können helfen, aber retten würde die Menschheit nur ein radikales Umdenken.
Was normal ist, ist irgendwann nicht mehr normal. Was normal ist, denkt man in einer Gewohnheitsblase. Jede Blase zerplatzt einmal. Das ist dann der sogenannte Generationenwechsel.
„Normalsein“ ist kein geschichtsloses Ideal. In jeder Normalität gibt es Opfer. Antisemitismus war einmal ein in allen Schichten verfestigtes Gedankengut. Heutige Waren werden in den Produktionländern unter grausamen Bedingungen gefertigt – den Menschen fernab der Konsumentenländer wird ihre Menschlichkeit nicht zugestanden.
Was ich eigentlich sagen will, ist etwas Hoffnungsvolles: Die Maschnerie des Welthandels mahlt, aber man kann sich zwischen ihren Zahnrädern und Zwängen mit seiner eigenen Realität einnisten. So schustert man sich sein privates Paralleluniversum und definiert seine eigene Normalität. Da kann man sich seine eigene Glücksbude bauen, die gut für alle ist.
Hier geht’s zum beispielhaften Video von „Living Big in A Tiny House“, indem Emma ihr Zuhause zeigt:
Menschen ohne festen Wohnsitz bieten eine Abladefläche für alle emotionale Last. Ein Schrottplatz für Selbstzweifel und Gewissensbisse ist das Wort „Obdachloser“: schlechter Geruch und vor allem faul.
Wie sind sie nun aber wirklich?
1. Sie haben eine Psychose. Die meisten Menschen, die „deutsch“ sind (siehe nächster Punkt) und dauerhaft obdachlos, sind – meiner Beobachtung zufolge – psychotisch. Sie finden sich in unserer Realität nicht zurecht und fürchten sich vor der Enge des psychiatrischen Krankenhauses. Aus der Bewegung der Antipsychiatrie ging das Weglaufhaus „Villa Stöckle“ hervor. Im Gegensatz zu uns Ehrenamtlern gibt es dort psychologisch geschultes Personal, sodass auf die spezifischen Bedürfnisse dieser Menschen eingegangen werden kann. Dort gibt es einen Schlafplatz und Essen, aber keine Zwangsmedikamentation. Leider sind die Plätze begrenzt. Andere psychischen Krankheiten wie Alkoholismus und Depression spielen meiner Beobachtung nach eine eher untergeordnete Rolle. Vielleicht weil in diesen Fällen eine passende Therapie leichter zugänglich ist und i.d.R. Krankheitseinsicht herrscht, soll heißen, die Personen wissen von ihrem Problem und empfinden es als ein solches. Zu dem Thema, ob die Psychose an sich überhaupt eine Krankheit ist, gibt es spannende Beitrage von Vera Maria. (1)
2. Nicht-europäische Staatsangehörigkeit. Jemand kommt hierher, sucht Arbeit, aber wird nicht fündig. Wenn er oder sie dabei nicht einmal aus Europa kommt, greift der Sozialstaat nicht. Nur wenn man „deutsch“ im Pass stehen hat, hat man auch Anspruch auf eine gesetzliche Mindestversorgung (Hartz IV). Man sollte seinen Geburtsort also gut wählen.
3. Ehemalige Heimkinder. Wer kein soziales Netz hat, das ihn in Krisenzeiten auffängt und trägt, hat es richtig schwer im Leben. Die meisten von euch fänden wohl immer irgendwo eine Couch, wenn es hart auf hart kommt. In der Not hält die Familie (meistens) zusammen.
4. Biografische Katastrophen. Letztens konnte ich nachts nicht schlafen, weil der Straßenlärm vor der neuen Wohnung lauter war als gedacht. Wenn man so übermüdet ist, fühlt sich das an, als müsste man so eine mitteraltliche Fußfessel hinter sich herziehen. Alles wird anstrengend. So etwas kann – wie im Fall einer Besucherin der Notunterkunft – zu Jobverlust führen und ergo zu Obdachlosigkeit. Bei den heutigen Mietpreisen schneller als früher.
Niemand ist gegen Schicksalschläge immun. Die Meinung, es könnte nur andere treffen, tötet jegliche Empathie. Jene Menschen aber, die mit hocherhobenen Haupt in ihren Gedankenwolken unberührt vorüberschreiten und sich dabei die Nase am Himmel blutig reiben, gehören verboten.
___________________________________
(1) Ein Besuch auf ihrer Homepage lohnt sich, um Vorurteile gegenüber psychischen Normabweichungen abzubauen: https://vera-maria-autorin.jimdosite.com.
Dass es wichtig ist, über den Suizid zu reden, weiß jeder (vgl. Art „der Lebenswert“ vom 01.02.2020). Es ist aber auch gefährlich und das aus zwei Günden:
Ich gefährde mich selbst – meinen Ruf. Wenn man das Wort „Suizid“ in den Mund nimmt, wird man misstrauisch beäugt und der stumme Ankläger hat schon den passenden Stempel mit der Aufschrift „psychisch krank“ parat. (1) Meine Stirn ist jedenfalls schön bunt.
Egal, auch in der Schublade „psychisch krank“ kann man es sich bequem einrichten. Was wirklich gefährich ist, ist der Effekt, den eine falsche – im Sterbehilfediskurs oft suizidverherrlichende – Redeweise auf den Leser / die Leserin hat. Der Werther-Effekt (2) beschreibt jenes Phänomen: Nachdem Goethe sein Buch „Die [suizidalen Anm. d. Red.] Leiden des Jungen Werhes“ publiziert hatte, gab es einen signifikaten Anstieg der Suizidraten. Viele trugen dabei die Tracht ihres Stilikones (siehe Bild unten). Oh Gott, ich habe jede Seite gehasst, in der ich mich durch dieses schmierige Selbstmitleid wühlen musste und ich glaube, allein diese Langweile der Schullektüre hat eine suizidinduzierende Wirkung. Warum lässt das Bildungsministerium Teenager ein Buch lesen, das eine wissenschaftlich bestätigte toxische Wirkung auf die Psyche hat? Warum?!
Als ich noch evangelische Theologie an der HU Berlin studiert habe (3), hätte ich es schön gefunden, wenn man sich mit wisschenschaftlichen Knowhow und christlicher Weisheit diesem heiklen Thema angenommen hätte. Leider gibt es kaum evangelische Theologen, die zum Thema „Suizid“ publiziert haben. Eigentlich nur Bonhoeffer und Luther, soweit ich weiß. (3) Ich finde die Beschäftigung mit dem Suizid fruchtbar, weil ich glaube, dass gerade in dieser schwarzen Tiefe wirkliche Antworten auf die großen Fragen der Menschheit liegen. Wo, wenn nicht dort? Dort begegne ich der „Logotherapie und Existenzanalyse“ von Viktor Frankl, dem ich schleunigst einen Artikel widmen will.
Werthertracht. Sehr hübsch.
____________________________________
(1) Mit der Diagnose eines in weiß gekleideten Arztgotts wird dann sogleich die Telnehmeberechtigung am gesellschaftlichen Diskurs entzogen. Schnell wird man vom denkenden Subjekt zum zu therapierenden Objekt „Patient“!
(2) Methodisch unsaubere Quelle: Wikipedia. 🙂
(3) Ich habe ewig und drei Tage evangelische Theologie an der HU Berlin studiert. Am Ende hatte ich keinen Abschluss aber die Erkenntnis: Theologen denken sich sehr gern Fragen von Theologen für Theologen aus und plätschern dann munter in ihrer vergeistlichen Blase. Ein Thema mit gesellschaftlicher Relevanz wie der Suizid erfährt vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit.
Jeder weiß, das Klima wandelt sich – und das nicht zum Guten. Es beginnt der sibirische Permafrostboden zu schmelzen. Dort ist die doppelte Menge an CO2 gespeichert wie sich derzeit in der Atmosphere befindet. Vielleicht ist der sogenannte Kipppunkt, bei dem eine Heißzeit eingeleitet wird, schon überschritten.
Man könnte ein ordentliches Klimapaket schnüren oder Ländern dabei zu helfen, sich auf die neuen Klimabedingungen einzustellen. Tatsächlich zankt man in der Politik und die große Masse gehorcht den Gesetzen der Trägheit.
Es scheint, dieses Wirtschaftssystem wurde eigens dafür erfunden, damit sich die menschliche Egomanie frei entfalten kann. Schon im 12. Jhd. beobachtete Hildegard von Bingen wie das menschliche Kreisen um sich selbst alles andere vernichtet. „Nur der Mensch ist ein Rebell (homo rebellis)“ (LVM III,13). „Wir [die Elemente] können nicht mehr laufen und unsere natürliche Bahn vollenden. Denn die Menschen kehren uns wie in einer Mühle um – von unterst nach oberst! Wir, die Element – die Lüfte, die Wasser- wir stinken schon wie die Pest.“ (LVM III, 2) (1). Der Mensch kann sich einfach nicht mit dem ihm angedachten Platz im Ökosystem zufrieden geben und ihn gestalten. Er stürmt los und greift nach mehr – auf den Kosten anderer Erdbewohner.
Wir, die von uns meinen, dass wir die Krönung der Schöpfung seien, verhalten uns oft wie ihr Tumor. Zu oft.
Die Schöpfung seufzt. (Röm 8,22)
__________________________
(1) Zit. von Schipperges, Heinrich: Hildegard von Bingen, Verlag C.H Beck, Fünfte Auflage. München 2004, S. 59 f.
Bildquelle: https://www.tagesspiegel.de/kultur/hildegard-von-bingen-schwester-im-geiste/7225304.html. (Eine Postkarte von 1910.)