Gründe für Obdachlosigkeit

Menschen ohne festen Wohnsitz bieten eine Abladefläche für alle emotionale Last. Ein Schrottplatz für Selbstzweifel und Gewissensbisse ist das Wort „Obdachloser“: schlechter Geruch und vor allem faul.

Wie sind sie nun aber wirklich?

1. Sie haben eine Psychose. Die meisten Menschen, die „deutsch“ sind (siehe nächster Punkt) und dauerhaft obdachlos, sind – meiner Beobachtung zufolge – psychotisch. Sie finden sich in unserer Realität nicht zurecht und fürchten sich vor der Enge des psychiatrischen Krankenhauses. Aus der Bewegung der Antipsychiatrie ging das Weglaufhaus „Villa Stöckle“ hervor. Im Gegensatz zu uns Ehrenamtlern gibt es dort psychologisch geschultes Personal, sodass auf die spezifischen Bedürfnisse dieser Menschen eingegangen werden kann. Dort gibt es einen Schlafplatz und Essen, aber keine Zwangsmedikamentation. Leider sind die Plätze begrenzt. Andere psychischen Krankheiten wie Alkoholismus und Depression spielen meiner Beobachtung nach eine eher untergeordnete Rolle. Vielleicht weil in diesen Fällen eine passende Therapie leichter zugänglich ist und i.d.R. Krankheitseinsicht herrscht, soll heißen, die Personen wissen von ihrem Problem und empfinden es als ein solches. Zu dem Thema, ob die Psychose an sich überhaupt eine Krankheit ist, gibt es spannende Beitrage von Vera Maria. (1)

2. Nicht-europäische Staatsangehörigkeit. Jemand kommt hierher, sucht Arbeit, aber wird nicht fündig. Wenn er oder sie dabei nicht einmal aus Europa kommt, greift der Sozialstaat nicht. Nur wenn man „deutsch“ im Pass stehen hat, hat man auch Anspruch auf eine gesetzliche Mindestversorgung (Hartz IV). Man sollte seinen Geburtsort also gut wählen.

3. Ehemalige Heimkinder. Wer kein soziales Netz hat, das ihn in Krisenzeiten auffängt und trägt, hat es richtig schwer im Leben. Die meisten von euch fänden wohl immer irgendwo eine Couch, wenn es hart auf hart kommt. In der Not hält die Familie (meistens) zusammen.

4. Biografische Katastrophen. Letztens konnte ich nachts nicht schlafen, weil der Straßenlärm vor der neuen Wohnung lauter war als gedacht. Wenn man so übermüdet ist, fühlt sich das an, als müsste man so eine mitteraltliche Fußfessel hinter sich herziehen. Alles wird anstrengend. So etwas kann – wie im Fall einer Besucherin der Notunterkunft – zu Jobverlust führen und ergo zu Obdachlosigkeit. Bei den heutigen Mietpreisen schneller als früher.

Niemand ist gegen Schicksalschläge immun. Die Meinung, es könnte nur andere treffen, tötet jegliche Empathie. Jene Menschen aber, die mit hocherhobenen Haupt in ihren Gedankenwolken unberührt vorüberschreiten und sich dabei die Nase am Himmel blutig reiben, gehören verboten.

___________________________________

(1) Ein Besuch auf ihrer Homepage lohnt sich, um Vorurteile gegenüber psychischen Normabweichungen abzubauen: https://vera-maria-autorin.jimdosite.com.

Das Weglaufhaus.

Bildlink: http://pkit.blogsport.de/2018/12/29/vortrag-berliner-weglaufhaus-und-kritik-an-der-heutigen-sozial-psychiatrischen-ordnung-am-24-1-2019/

This entry was posted in Uncategorized. Bookmark the permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert